Artikel in der FR am 28.08.2016
Der Psychologe Andreas Heidecke rät im Interview mit der FR den Eltern, nicht die Rolle der Schule zu übernehmen. Erziehung heiße vor allem Ermutigung.
Herr Heidecke, die Sommerferien gehen zu Ende, in Hessen und andernorts schmieren Mütter und Väter wieder Pausenbrote und erinnern an die Turnsachen. Regiert jetzt wieder der Stress den Alltag?
Eltern sollten nicht in die Rolle hineinkommen, immer nur die vermeintlich negativen Aspekte der Schule zu vertreten. Sie tun gut daran, sich entschieden für die Rolle des Helfenden zu entscheiden. Das heißt: Sie sind nicht der Kontrollierende, der Strafende oder die Nörgelnde, sondern sie bieten dem Kind ihre Unterstützung an. Eine gute Frage etwa wäre heute: „Der Rhythmus ändert sich jetzt wieder. Was kann dir bei der Umstellung helfen?“
Was können Eltern konkret tun?
Wenn sie meinen, dass ihr Kind eine kleine Starthilfe braucht, können sie fragen: „Wie kann ich dir helfen? Sollten wir uns am Schuljahresbeginn noch mal etwas anschauen und noch einmal üben?“ Das kann zum Beispiel das Dividieren sein, wenn es schon öfter Probleme gab. Wichtig ist aber, dass sich Eltern nicht als verlängerter Arm der Schule verstehen.
Wie meinen Sie das?
Viele Eltern geraten zu sehr in die Rolle des Fordernden, sie werden quasi zum Zweitlehrer. Sie sollten die Rückkehr in den Alltag aber nicht allein mit den schulischen Pflichten begründen, das ist der Job des Lehrers. Besser ist, wenn Eltern ihre eigenen Forderungen vertreten und sich überlegen: Was will ich? Was brauche ich für ein gutes Familienleben? Und wie kriegen wir das zu Hause gemeinsam gut hin?
In den Ferien lassen Eltern ja meist die Zügel etwas lockerer. Spät ins Bett, lange ausschlafen, öfter mal Eis und Chips zwischendurch …
Wenn Eltern auf viele Forderungen, die im Alltag gelten, in den Ferien verzichtet haben, ist jetzt die Zeit, sie wieder aufzunehmen. In manchen Familien darf zum Beispiel in den Ferien jeder dann essen, wann er hungrig ist. Wenn den Eltern aber ein gemeinsames Frühstück unter der Woche wichtig ist, sollten sie das einfordern.
Aber im Urlaub muss ein bisschen „Laissez-faire“ doch sein, oder?
In den Ferien ist manches nicht nötig, aber gerade hier haben Eltern die Chance, ihr Kind mit Lebenspraktischem im Großwerden zu fördern. Das Kleinkind sein Butterbrot alleine schmieren zu lassen, das Schulkind einen kleinen Einkauf machen zu lassen. Und auch einem Pubertierenden lässt sich vermitteln: „Wenn du mir zeigst, dass du zuverlässig bist, dann ist noch mehr für dich drin. Wenn du morgen Abend pünktlich nach Hause kommst, gucken wir übermorgen Abend gemeinsam Fernsehen.“ Erziehung heißt ja nicht nur Unangenehmes abverlangen, sondern vor allem ermutigen.
Wie lässt sich das auf die Schulzeit übertragen?
Eltern sollten ihrem Kind klar machen: Schule, das ist dein Job und nicht meiner. Denn sonst senden sie gleich mehrere kontraproduktive Botschaften aus: Dein Wert hängt von deinem schulischen Erfolg ab. Schule ist für Mama wichtig. Oder Kinder verinnerlichen: Wenn etwas wichtig ist, sagt Papa mir schon bescheid. Gerade in der Pubertät sollten Eltern durch ihr großes Interesse an der Schule diese gerade nicht als Feld der Rebellion anbieten. Also wenn etwa die vier in der Klassenarbeit kommt, nicht sofort schimpfen, sondern lieber nachfragen: Bist du selbst denn damit zufrieden? Ziehen und Zerren ist hier einfach nicht produktiv.
Klappt das denn immer?
Die Rolle des unbeteiligten Helfenden setzt voraus, dass die Schule ihre Rolle als Fordernde wahrnimmt. Den Streit um die Hausaufgaben sollte das Kind mit dem Lehrer führen, nicht mit den Eltern. Auch wenn Eltern mit ihrem Kind zusätzlich üben wollen, rate ich, zuerst die Lehrperson anzusprechen und zu bitten, dem Kind Extra-Arbeitsblätter mitzugeben. Dann wird die Aufgabe von der Schule gestellt, nicht von der Familie. Und wenn das Kind nicht will, können die Eltern sagen: Sprich darüber mit dem Lehrer.
Geben Eltern damit nicht zu viel Verantwortung ab?
Das ist der Sinn der Sache. Und zwar auch dann, wenn es kritisch wird in der Schule. Eltern dürfen ihrem Kind etwa guten Gewissens sagen: „Wenn du auf dem Gymnasium bleiben willst, musst du es dir verdienen. Du hast das Recht auf jede Hilfe von mir, aber aktiv werden musst und kannst nur du.“ Die Verantwortung der Eltern ist es, den Kindern beim Erreichen ihrer Ziele zu helfen und nicht selbst die Verantwortung zu übernehmen.
Artikel in der FR am 28.08.2016